Artikel erschienen in FOCUS EFL Beratung,Heft Nr. 6 April 2007
Informationsblatt des Berufsverband Diplomierter Ehe-, Familien- und Lebensberater Österreichs
"Der Umgang mit Aggression in der körperorientierten Selbsterfahrung " Von Christoph Swoboda
Schon die etymologische Betrachtung des Begriffs Aggression öffnet Horizonte und erlaubt neue Sichtweisen:
Dass „Aggression“ fast ausschließlich in der Bedeutung von "kriegerischer Angriff" benutzt wird, ist eine relativ neue Variante, die im 18. Jahrhundert zuerst im Französischen auftaucht.
Die lateinischen Ursprünge "ad" = "heran"; "gredi" = "schreiten"; also "heran-gehen", "sich begeben zu", "sich an jemanden wenden", "ihn angehen" (nicht zerstörerisch, sondern mit einem Begehren oder Wunsch) erlauben eine Sichtweise dieser Kraft als „gestaltend“, ohne eine zwangsläufige Verurteilung als „zerstörerisch“.
Auch: "unternehmen", "beginnen", "versuchen" - in dem Sinne "eine Sache angehen", "in Angriff nehmen" entziehen sich dieser Wertung. Und dann gibt es noch "aggressio" = "Anlauf des Redners", also den "Beginn der Rede".
Die Bedeutung "angreifen" im Sinne des Feindlichen gab es natürlich auch schon immer , aber eben nicht ausschließlich.
"Hingehen" war offensichtlich gleichbedeutend mit "zugreifen" - wenn man sich schon hinbewegt, dann deshalb, weil man dort auch etwas will.
Die Wurzel "gred" = "schreiten" ist übrigens auch enthalten in "Kongress" (Zusammen-gehen), "Progression" (Fort-schritt). „Regression“ (Rück-schritt).
Natürlich ist das Leben kein Wörterbuch und Psychologie keine Wortklauberei, aber manchmal verhelfen auch ungewöhnliche Blickwinkel zu neuen Sichtweisen.
In der körperorientierten Selbsterfahrung versuchen wir Aggression zunächst ebenso wertfrei als eine „nach außen gerichtete vitale Kraft“ zu verstehen. Durch diese Kraft verschaffen sich Gefühle wie Wut, Zorn, Ärger, Empörung einen körperlichen Ausdruck.
Aggression entsteht durch Kränkungen, Verletzung, Verlust, Enttäuschung.
Aggression gehört als Gegenpol zur Resignation zu unserem Antwortpotenzial auf schmerzhafte Einflüsse von Außen. Kampf, Flucht oder Aufgabe gehören zu unserem tiefverwurzelten Schutz- und Verteidigungsmechanismus. Lernen wir aber nur das Fliehen, gehen wir Konfrontationen aus dem Weg. Dann wird “vermeiden statt leben“ schnell zum (Über-)Lebenskonzept.
In der Resignation reduziert sich die Körperenergie auf das Lebensnotwendigste. Der Körper krümmt sich zusammen und erschlafft, die Haut und die äußeren Gliedmaßen werden nur noch schwach durchblutet. Sinnliche Wahrnehmungen werden abgeschwächt. Körper und Seele warten darauf, dass der Schmerz vorübergeht. Die Energie fließt nach „unten“ (z.B. in Streichelrichtung der Haare). Die Welt wird als „zu ertragen“ erfahren.
In der Aggression befindet sich der Körper in einem Erregungszustand. Haut und äußerer Gliedmaßen werden stark durchblutet, die Muskeln sind zur Aktion bereit, die Sinne sind geschärft. Die Kraft richtet sich nach Außen, gegen die Ursache des Schmerzes. Energie fließt nach „oben“, die Haare sträuben sich. Die Welt wird als „gestaltbar“ erfahren.
Aggression ist also eine Kraft, die es uns ermöglicht kreativ in die Welt einzugreifen. Da Aggression jedoch oft mit dem infantilen Wunsch nach Rache und Zerstörung verbunden ist, macht sie uns Angst, ist unerwünscht und muss reguliert werden.
Der Versuch Aggressivität zu regulieren führt meist zur Unterdrückung und Ächtung der damit verbundenen „negativen“ Gefühle wie Ärger und Wut. Unterdrückte Wut bleibt jedoch im Körpersystem staut sich an und richtet sich nach Innen.
Angestaute Wut kann wie bei cholerisch veranlagten Menschen zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen schon aus geringfügigen Anlässen führen. Kleinste Kränkungen oder auch nur vermeintliche Angriffe können das Fass zum überlaufen bringen. In den meisten Fällen richtet unterdrückte Wut sich jedoch als Autoaggression oder Depression gegen die Person selbst.
Neben der Einschränkung von Vitalität und Lebensfreude sind dabei vor allem die Spannungen und „Verpanzerungen“ der Muskulatur bedeutsam. In ihnen staut sich die Lebensenergie, wird „eingefroren“ und steht nicht mehr für körperliche und geistig-seelische Aktivitäten zur Verfügung.
Der Versuch weitere Schmerzen zu vermeiden führt dazu, dass auch das ursprüngliche Bedürfnis z.B. nach Zuwendung und Zärtlichkeit unterdrückt werden muss. Dazu wird die damit verbundene Lebensenergie im Muskelapparat „gebunden“ und unter Kontrolle gehalten. Chronische schmerzhafte Verspannungen zum Beispiel in der Rückenmuskulatur sind die häufige Folge, aber auch zahlreiche andere psychosomatische Beschwerden können so entstehen.
Befreit man die „eingefrorene Lebensenergie“, indem man durch körperliche Übungen die Energieblockade im Muskelpanzer aufhebt, können sich die verdrängten Bedürfnisse und Gefühle abreagieren d.h. gelebt und dauerhaft verarbeitet werden.
In der körperorientierten Selbsterfahrung findet Aggression einen geregelten körperlichen Ausdruck. Alte, angesammelte Ärgergefühle werden in einem geschützten Rahmen befreit, bearbeitet und transformiert. Dadurch wird diese starke Lebenskraft als beherrschbar erfahren, ohne ihre vitale und schöpferische Komponente zu verlieren.
Und es geht um das Aufspüren und Erkennen von alten Glaubenssätzen, Verhaltensmustern, Schutzstrategien und der Frage: „Was brauche ich davon heute noch und was will ich neu ausrichten.“
Die Aufarbeitung ermöglicht es Verantwortung zu übernehmen, die Welt als Tät(tig)er zu gestalten und sie nicht länger als Opfer zu ertragen.
Arbeit mit dem Körper ist ein tiefes Erfahren der inneren Wirklichkeit.
Sie gibt uns Kraft, unsere vitalen Energien zu entwickeln und zu nutzen. Verhaltensmuster und Programme werden bewusst, können überprüft und gegebenenfalls abgelegt werden.
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